Vertikalspannung

„Sofort ließen sie ihre Netze liegen und folgten ihm nach“[1]. Das wird von Fischern berichtet, die, von Jesus fasziniert, auf Anhieb alles Bisherige, auch ihren Vater radikal zurücklassen. Es handelt sich wohl um eine literarische Übertreibung des Evangeliums zur Unterstreichung der überragenden Bedeutung dieses Rabbi aus Nazareth. Denn man bleib im Umfeld des heimischen Sees Genezareth, dem Wirkungskreis Jesu. Dennoch ist die Botschaft klar: Wer auf Jesus setzt, muss sich innerlich entscheiden, mitzukommen oder zu bleiben, festzuhalten oder loszulassen, aufzubrechen oder zu verhocken.
„Du musst dein Leben ändern“ lautet ein literarischer Einfall von Peter Sloterdijk angesichts einer, von Rilke gedichteten antiken Götterstatue, die sich als Torso dem Anblick herausfordernd darbietet. Sloterdijk ahnt mit philosophischem Scharfsinn, dass der Mensch nur unter einer „Vertikalspannung“ ein anderer werden kann, zu besonderer Leistung und zur Selbstoptimierung fähig ist. Die Vertikalspannung freilich ist bei ihm als Nichtchrist lediglich der ideelle Gegensatz zur „horizontalen Entspannung“ in der pandemisch trivialisierten Kultur des Behagens. Bei uns Christen dagegen bekommt die Vertikalspannung ein Gesicht in Jesus Christus, sie wird konsistent durch seine Beziehung zum himmlischen Vater, in die er uns hineinnehmen will.
Diese Vertikalspannung Jesu elektrisiert und motiviert auch heute viele, in das „spirituelle Übungssystem“ zur Lebensänderung (Sloterdijk), in das Christsein radikal einzusteigen. Und je mehr man selbst davon ergriffen ist, desto weniger ist man für spalterische Positionierungen in der Kirche anfällig, ob nämlich Paulus, Apollos oder Kephas jeweils im Recht sind (2. Lesung des Sonntags). Wer auf den Himmel ‚gespannt‘ ist, kümmert sich nicht in erster Linie um den ihm angeblich zustehenden Ehrenplatz. Es ist ihm vielmehr darum zu tun, dass auch andere seiner Blickrichtung folgen. (Die jesuanische Vertikalspannung kann übrigens auch jetzt in der Prüfungszeit entlastend sein!)
Einen gesegneten 3. Sonntag im Jahreskreis!
P. J. Gregur