Die Befleckte lieben

Samstag, 19 Februar 2022

Die Befleckte lieben

Wenn beim Essen dein Gegenüber im Mundwinkel einen Speiserest hat, wirst du garantiert nur darauf starren, der Mensch dahinter verschwindet quasi. – Ähnlich mutet es an, wenn jetzt vor lauter Missstände das Gute an der Kirche aus dem Blick gerät. Wieder und wieder wird die Katholische Kirche als ganze unter Beschuss genommen. Gestern z. B. (17. 2.) im BR bei „Asül für alle“; hier noch relativ moderat, doch selbstverständlich unter Applaus des virtuellen Publikums: „Glaubensgemeinschaft, für die sich Gott unentwegt schämen muss“ (M. Uthoff). Nicht nur Kirchenferne müssen langsam den Eindruck gewinnen, es handele sich um nichts als ein machtgieriges Sündenbabel von MissbrauchstäterInnen.

Bei aller Berechtigung der Diskussion, es nervt langsam! Ja, die ‚Moralapostel‘, wie man spottet, haben gesündigt, den Menschen und so auch der Kirche schwer geschadet. Nichts ist da zu beschönigen und Enttäuschung verständlich. Aber sollte man das Kind mit dem Bad ausschütten? Verdammen, Brandmarken, Austreten? – Ganz und gar nicht. Gründe?

Entscheidende, theologische Gründe werden oft nicht mal mehr intern verstanden, geschweige denn in der Öffentlichkeit: dass die Kirche vor allem eine geistliche Gemeinschaft ist, in der sich Getaufte Christus, einander und der Welt verpflichtet wissen. Man kann selbstverständlich historisch den Blick auf das Machtgehabe des mittelalterlichen Klerikalismus fixieren. Man kann aber auch auf die Dom- und Klosterschulen blicken, wo nicht nur adelige Jugendliche Aufnahme fanden; auf die Hospitäler und Apotheken, um die sich sonst niemand kümmerte; auf die Schreibstuben der Mönche, die antike Schriften kopierten und überlieferten, von denen wir heute noch profitieren. Allen Vorurteilen zum Trotz steht fest, dass die Kirche Universitäten ins Leben rief, ihre Mitglieder Wissenschaft und Kultur entscheidend voranbrachten. Nicht zu sprechen vom Widerstand gegenüber manchen Irrwegen des Zeitgeistes; vom Engagement der IdealistInnen, die im Namen Jesu die Not der Welt erträglicher machte: Bischof Martin, Nikolaus, Franz von Assisi, Katharina von Siena, Angela Merici, Ignatius, Theresa von Ávila, Don Bosco, Kolping, Mutter Theresa und unzählige andere Wohltäter der Menschheit. Das Bashing der Kirche empfinde ich persönlich als ungerecht, nicht nur, weil es auch meine Jugendarbeit in Missbrauchs-Sippenhaft nimmt, sondern auch meine Schwester, die beiden Tanten und die Cousine, die als Klosterfrauen in der Nachfolge Jesu nur auf Gottes Lohn bauten. Widerspruch ist angesagt angesichts diskriminierender Häme im Namen zahlreicher Idealisten im Priester- und Ordensstand, die auch heute weltweit täglich mit und für die Armen leben (mein Mitbruder Lothar Wagner beispielsweise, der seine Straßenkinder in Afrika auch dann nicht verließ, als viele vor Ebola flohen. Die Kirchenkritik mag hier die Konkurrenz antreten und ihre Leistungen vorweisen!). Die Kirchenschelte ignoriert das Engagement ungezählter ‚Laien‘, die im Namen der Kirche christliche Solidarität praktizieren. Sie setzt sich ahnungslos über die christlichen Ideale hinweg, die unsere Zivilisation genetisch prägen; Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit sind keimhaft in den Gründungsschriften der Kirche (Paulus) angelegt. Wer sich über all das ehrlich informiert, wird unschwer die Überzeugung des Ex-Bundesentwicklungsministers Gerd Müller teilen, die er aus eigener weltweiter Erfahrung gewann: „Katholische Kirche ist größte Bewegung für Frieden und Gerechtigkeit auf der Welt!“

„Warum bleiben, wenn die Kirche zum Davonlaufen ist?“ Zu diesem Thema sprach unser Bischof Bertram beim letzten Augsburger ökumenischen Hochschulgottesdienst. Es lohnt sich, seine Gründe nachzulesen. Nicht nur um in der Kirche zu bleiben, sondern um sie trotzdem zu lieben – die Befleckte.[1]

Eine schöne Woche!

P. J. Gregur


[1] „Warum bleiben, wenn alles zum Davonlaufen ist?“ https://www.hochschulgottesdienste.de/